Gravitas ganz leicht

Mit leichter Hand das Schwere schreiben: Ann Patchett und ihr Holländerhaus

Ann Patch­ett | Das Hol­län­der­haus | berlin Ver­lag, 22,00 EUR

Wenn man Kapi­tel eins nicht ver­ste­ht, ist es sinn­los, zu Kapi­tel zwei überzuge­hen. […] Ihnen fehlen die Schlüssel.

She did it again! Ann Patch­ett ste­ht für kom­pakt erzählte Geschicht­en, die doch fein verästelt die See­len ihrer Fig­uren erkun­den. Und sie hat es wieder getan. Vielle­icht fällt dem einen oder der anderen jet­zt das großar­tige Bel Can­to ein, in dem sie uns ins Innere ein­er Geisel­nahme im Opern­haus schick­te. Mit »Das Hol­län­der­haus« ist ihr dies­mal ein vielschichtiger Fam­i­lien­ro­man geglückt.

Die Könnerin

Nicht, dass sie in der Wahl ihrer lit­er­arischen Mit­tel beson­ders exper­i­mentell wäre. Nein, das ist es nicht. Aber der Geschichte zwei Grav­i­ta­tion­szen­tren zu geben, das ist bril­liant. Da ist ein­er­seits das Haus. Als Über­raschung gekauft, bildet es for­t­an den unver­rück­baren materiellen Hin­ter­grund des Geschehens. Es ist groß, prunk­voll und immer noch durch­we­ht vom Echo der Vorbe­sitzer. Gle­ichzeit­ig ist es irgend­wie die Ursache für den zweit­en Mit­telpunkt der Geschichte: die abwe­sende Mutter.

Die war näm­lich keineswegs erfreut von der prachtvollen Riesigkeit des Haus­es und sie ver­schwindet. Ein­fach so. Sie will nach Indi­en und dort den Armen helfen. Aber das ist alles bere­its geschehen, als der Roman ein­set­zt, und enthüllt sich erst nach und nach.

Die Meisterin

Wer jet­zt aber glaubt, es lediglich mit einem weit­eren sehr gut gemacht­en Fam­i­lien­ro­man zu tun zu haben, hat zwar irgend­wie recht, irrt sich jedoch auch gewaltig. Im Wech­sel zwis­chen Dan­nys Sicht auf die Dinge und den steti­gen Gesprächen zwis­chen ihm und sein­er viel älteren Schwest­er Maeve ent­fal­ten sich rund 50 Jahre des let­zten Jahrhun­derts. Dabei übt sich Ann Patch­ett in der hohen Kun­st der Selb­st­beschränkung. Ihre Bühne ist die weiße amerikanis­che Mit­telschicht. Die poli­tis­chen Großereignisse der Zeit spie­len nur am Rande eine Rolle und vieles bleibt in dieser Hin­sicht der Phan­tasie und den Ken­nt­nis­sen der Leser*innen überlassen.

Aber genau darin liegt das Grandiose dieses Buch­es. Patch­ett bleibt immer, wirk­lich immer, inner­halb des Fam­i­lienuni­ver­sums. Aber weil sie sich so unbe­d­ingt auf ihre Fig­uren ein­schwingt, fließt auch die gesamte Atmo­sphäre der Zeit ein. Dabei drück­en namentlich die Beschränkun­gen und Gren­zen der freien Lebens­gestal­tung für Frauen unverkennbar der Geschichte ihren Stem­pel auf.

Denn nicht nur Maeve, die unglaublich zähe Sym­pa­thi­eträgerin des Romans, auch ihre Mut­ter und ihre Stief­mut­ter exerzieren das Rin­gen um ein selb­st­bes­timmtes Leben in vie­len kleinen und großen Gesten und Hand­lun­gen durch. Und darum hat Ursu­la Scheer in der FAZ völ­lig zu Recht fest­gestellt, dass »Das Hol­län­der­haus« am Ende dann auch ein “heim­lich fem­i­nis­tis­ch­er Roman” gewor­den ist.

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