Schatten, Schein und Zaubersprüche

Sebastien de Castell | Spell­slinger. Karten des Schick­sals | dtv, 16,95 EUR

»Verzei­ht mir, Mer’esan.« Ich beschloss, eine Weile den Mund zu hal­ten. Vielle­icht klappte das ja besser.

Kellen ist der Sohn des mächti­gen Magi­er Ke’heops, aber im Gegen­satz zu sein­er tal­en­tierten jün­geren Schwest­er Shal­la ver­liert Kellen seine Magie. Und das ist schlecht. Denn als Men­sch ohne Magie, als Sha’Tep, blüht ihm damit das­selbe Dien­st­bo­ten­da­sein, das auch sein Onkel Aby­dos führen muss. Die Jan’Tep, also die magisch begabten Men­schen, ken­nen dage­gen gle­ich sieben Ele­mente der Macht, die sie durch Hand­be­we­gun­gen, Worte und speziellen Tätowierun­gen bändi­gen. Dass Kellen sein Schick­sal jedoch nicht ein­fach hin­nimmt, ver­ste­ht sich von selb­st. Glück­licher­weise nimmt ihn die vogel­freie Argosi Ferius unter ihre Fit­tiche. Neben ihrer läs­si­gen Cool­ness und Intel­li­genz sind es ihre Spielka­rten, mit denen sie sich immer wieder aus allem herauswindet.

Spellslinger im Labyrinth des Abenteuers

Aber weil hier grund­sät­zlich nicht gespoil­ert wird, belasse ich es bei dieser winzi­gen Inhaltsskizze. Kellen wird also zum — oder ist er es schon? — Spell­slinger, zum Fluchwe­ber. Sebastien de Castell startet mit diesem großar­ti­gen Auf­tak­t­band in eine bere­its sechs­bändi­ge Rei­he, die die klas­sis­che Außen­seit­ergeschichte als Helden­reise erzählt. Und genau muss das auch sein.

Der Clou an sein­er Erzählweise ist die unglaubliche Wendigkeit, mit der de Castell die Hand­lung vorantreibt. Ein biss­chen ist es wie ein Spazier­gang im Wald: Hin­ter jedem Baum hockt ein neues selt­sames Tier, wächst ein ander­er merk­würdi­ger Pilz. Ständig müssen wir auf eine neue Kapri­ole gefasst sein, denn nichts in dieser mitreißen­den Sto­ry ist wie es auf den ersten Blick scheint. So ist das eben, wenn die Karten immer wieder neu gemis­cht wer­den. Und so fol­gen wir ges­pan­nt dem vielschichti­gen Geschehen, das immer wieder neue Aspek­te ins Spiel bringt.

Mer’esan wich meinem Blick aus. »Setz dich«, sagte sie. »Das Spiel ist noch nicht zu Ende.« »Wie soll ich denn spie­len?«, fragte ich. »Jedes Mal, wenn ich eine Karte ausspiele, verkün­det Ihr, dass sie nut­z­los ist!« »Du hast keine Karten mehr übrig«, antwortete sie. »Jet­zt kannst du nur noch zuschauen.«

Darüber­hin­aus ist der Autor auch ein aus­ge­sprochen guter Dialo­gregis­seur. Das ist auch gut so, denn dem Buch fehlt es näm­lich dur­chaus nicht an weltan­schaulich­er Erkun­dung. Die wird aber ins­beson­dere in Ferius’ schn­od­deriger Art aufge­fan­gen und erspart uns die Mühen des Belehrtwerdens.

Ich bin eine Frau, mein Junge. Wahrschein­lich bist du in diesem zurück­ge­bliebe­nen Kaff noch nie ein­er begeg­net, aber eine Frau ist genau­so wie ein Mann, bloß schlauer und mit mehr Mumm.

Die »Karten des Schick­sals« sind also ein ganz großes Lesev­ergnü­gen für alle ab 14 Jahren, die ihren Spaß an ver­wick­el­ten Geschicht­en und aus­gek­lügel­ten Fan­tasiewel­ten haben.

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